Ein Daumenkino-Kinoabend - was soll das denn bitte sein? Das hat sich vermutlich so mancher gefragt, als er die Ankündigung gelesen hat. Was genau soll daran unterhaltsam sein, sich Daumenkinos auf dem Liebschützberg anzuschauen? Ist das nicht eine alberne Kindersache? Daumenkinograph Volker Gerling gab darauf eine überzeugende Antwort und bewies uns das Gegenteil. Er präsentierte sein Programm "Bilder lernen laufen, indem man sie herumträgt", mit dem er die bekanntesten Bühnen der deutschsprachigen Kleinkunstszene bespielt. Es dauerte nicht lange, dann waren die letzten Gespräche am Glockenturm neben der Windmühle verstummt, und die zahlreich erschienenen Gäste verfolgten gebannt, wie Volker Gerling behutsam seine Daumenkino abblätterte. Doch wie entsteht überhaupt solch ein Daumenkino? Volker Gerling ist in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als 5000 Kilometer zu Fuß durch Deutschland, Österreich und die Schweiz gelaufen. Auf seinen Wegen traf er Menschen, die ihm Geschichten aus ihrem Leben erzählten. Mit einer analogen Kamera porträtierte er diese für seine Daumenkinos. Sei es ein alter Mann, der schon fünf politische Systeme erlebt hat. Oder zwei Künstler, die sich nachts dem Rotwein hingeben. Oder ein "Pärchen zu dritt", das neue Wege in der Liebe ausprobiert. Oder zwei reglos sitzende Jungs am Ufer eines Sees, die beim Angeln scheinbar einfach ihre Ruhe haben wollten. Mit 36 Bildern eines Kleinbildfilms kann man eine Menge erzählen, auch wenn die Begegnung manchmal nur kurz ist. Oft sind in den Daumenkinos Menschen mit überraschenden Reaktionen zu sehen - Gesichter, die in den nur wenige Sekunden langen Sequenzen vielleicht mehr aussagen als manch langer Kinofilm. Bei seinen Wanderungen trägt Volker Gerling die Daumenkinos in einem Bauchladen herum und zeigt sie interessierten Menschen. Er bringt sie damit zum Lachen und nicht selten auch zum Weinen. Auf dem Liebschützberg konnten die Zuschauer gemeinsam diese spezielle Kunstform bewundern. Das Abblättern der Daumenkinos haben wir auf eine Großbildleinwand projiziert, die direkt an der Windmühle lehnte. Jedes Daumenkino wurde jeweils drei Mal gezeigt, so dass man es genau anschauen und verinnerlichen konnte. Volker Gerlings humorvolle,dabei aber auch nachdenklich-tiefgründige Ausführungen machten klar, dass das Leben bunt und vielfältig ist, und dass sich hinter jeder noch so zufälligen Begegnung eine spannende Geschichte verbergen kann. Im Karée an der Mühle ergab sich ein wunderbares Bild, das man so noch nicht gesehen hat. Der bezaubernde Sommerabend mit fast vollem Mond und Sternenhimmel tat sein Übriges zur ganz besonderen Stimmung. Wir von der IG Liebschützberg haben diese Veranstaltung als eine Sternstunde auf dem Liebschützberg empfunden. Passenderweise beendete Volker Gerling seinen Daumenkino-Abend mit einer berührenden Geschichte über Sterne. Danach war keine Zugabe nötig.Fazit: Der Daumenkino war keineswegs albern, und keine einzige Minute langweilig!
Herzlichen Dank an alle Kulturbegeisterten, die sich darauf eingelassen und uns mit ihrem Besuch beehrt haben! Und selbstredend auch an Volker Gerling, den wir hoffentlich nicht zum letzten Mal auf dem Liebschützberg begrüßt haben. Im kommenden Jahr feiert die IG Liebschützberg übrigens ihr zehnjähriges Bestehen. Lassen Sie sich überraschen, was wir zu diesem Ereignis auf die Beine stellen! Der Termin ist leicht zu merken - es wird wieder der 6. September sein.